Nationalismus ist eine Ideologie, die eine natürliche Gemeinschaft vorspiegelt, die so nicht existiert. Wer sich mit der Nation identifiziert, übersieht die realen Interessengegensätze. Der Nationalismus überdeckt Klassenunterschiede. Er funktioniert als Kitt, der die Menschen zusammenhält und die Ausgebeuteten dazu bringt, für die Herrschenden Opfer zu bringen. Sie sollen zugunsten des Gemeinwohls auf Lohn verzichten, sie sollen Energie sparen, während andere mit dem Privatjet durch die Gegend fliegen, und sie sollen Dienst tun für’s Vaterland.
Doch Nationalismus ist erst mit dem Kapitalismus und dem modernen Staat entstanden, der die Herrschaft von Thronen und Kronen ersetzte. Wichtige Instrumente und Medien des Nationalen sind eine vermeintlich einheitliche Kultur und Geschichte sowie eine einheitliche Sprache, die durch Verwaltung, Armee und Schule, Radio und Fernsehen durchgesetzt wurden. Es sind also historische und politische Prozesse, die die Bedingungen des Nationalismus schaffen.
Die vermeintliche Einheit der Nation war und ist immer erkauft durch Grenzziehung und Ausgrenzung bis hin zu Vertreibung und Mord. Die Nation ist also einerseits ein ideologisches Gebilde, ein Mythos, andererseits eine materielle Realität: Sie beinhaltet Ausschluss und Einschluss durch Grenzen und Staatsangehörigkeit sowie Gesetze, die über das materielle Dasein entscheiden, die für In- und Ausländer*innen verschieden sind.
Wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen, so wird der Nationalismus insgesamt vom weit überwiegenden Teil der Bevölkerung als selbstverständlich geteilt, auch in der Linken. Während Rechte und Konservative einem völkischen Nationalismus anhängen, der auf rassistischen Vorstellungen beruht, werben Sozialdemokraten und Grüne für einen geläuterten Patriotismus. Einig sind sie sich in einem Standortnationalismus, der Deutschlands Status als Exportweltmeister auf Kosten anderer zementieren soll.
Die antikolonialen Bewegungen kämpften zurecht gegen die brutale europäische Kolonialherrschaft, ihre Siege markieren einen historischen Fortschritt, aber das Ergebnis war nicht Befreiung, sondern neue Nationalstaaten, die aufgrund der Schwäche ihres nationalen Kapitals in neokolonialer Abhängigkeit verblieben. Das Führungspersonal vermeintlicher Befreiungsbewegungen mutierte in vielen Fällen zu einer neuen herrschenden Ausbeuterkaste, wie zuletzt die Entwicklungen in Nicaragua oder Südafrika zeigten.
Es bleibt der Widerspruch, dass Kämpfe gegen nationale oder koloniale Unterdrückung zu unterstützen sind, aber nationale Befreiung unmöglich ist, weil Nation und Nationalismus immer auf Herrschaft und Ausgrenzung hinauslaufen. LEA lehnt deshalb separatistische Bewegungen ab, weil das Ergebnis bloß weitere bürgerlich-kapitalistische Nationalstaaten wären. Wir sind der Meinung, dass eine emanzipatorische Linke transnational und kosmopolitisch denken und handeln muss. Unser Ziel ist die Überwindung von Kapital, Staat und Nation und damit aller Grenzen. Wir wollen ein menschliches Zusammenleben, welches Marx als „Verein freier Menschen“ bezeichnet hat.